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SMAlltalk SMA
Eine inklusive WG ist weit mehr als nur barrierefreies Wohnen. Sie ist ein Experiment des Zusammenlebens, eine tägliche Herausforderung und ein Ort, an dem echte Teilhabe Realität wird. Persönliche Assistenz spielt dabei die Schlüsselrolle – sie ermöglicht Freiheit, wo viele nur Einschränkungen sehen.
Was heißt das in der Praxis? – Ich lebe seit 2015 mit fünf Mitbewohnern in einer inklusiven WG und habe 24/7 Assistenz mit ~10 verschieden Assistent:innen welche sich in der Tag- und Nachtschicht abwechseln und mich im Alltag unterstützen. Das Wasser reichen können mir von Zeit zu Zeit auch meine Mitbewohner:innen. 😉
Stell dir eine ganz normale WG vor: Man teilt sich Küche und Wohnzimmer, organisiert Putzpläne, kocht gemeinsam oder verbringt Zeit zusammen. Doch in einer inklusiven WG gibt es eine besondere Dynamik: Einige Mitbewohner:innen sind auf persönliche Assistenz angewiesen, die sie bei alltäglichen Aufgaben unterstützt – beim Aufstehen, Anziehen, Einkaufen oder Kochen.
Der entscheidende Punkt dabei? Die Assistenzkräfte sind nicht Teil der WG-Gemeinschaft, sondern arbeiten für mich oder meine Mitbewohner:innen. Das sorgt für ein spannendes Gleichgewicht.
Wie sieht das in der Praxis aus? Wir haben in unserer WG ein zusätzliches Assistenzzimmer. Dies ist Rückzugsort für meine Assistent:innen und gewährleistet uns als WG und mir als Mitbewohner die notwendige Privatsphäre. Wenn ich Hilfe benötige, gebe ich meiner Assistenz Bescheid und sie unterstützt wo nötig. Auch eigenständiges Arbeiten wird gefördert und gefordert, beispielsweise im Rahmen des wöchentlich wiederkehrenden Putztages. Ansonsten erfolgt vieles in enger Absprache wie beispielsweise die Zubereitung des Mittagessens. Stimmt die Chemie, schließt sich auch ein gemeinsames Essen nicht zwingenderweise aus. Die kontinuierliche Absprache ist hier der Schlüssel zum Erfolg, um ein klares Rollenverständnis zu gewährleisten und Bewusstsein zu schaffen hinsichtlich der Frage – was und wann ist der Arbeitskontext gegeben und wann geht es um einen freundschaftlichen Austausch.
Das ist keine Selbstverständlichkeit. Viele Menschen mit Behinderung sind oft in Abhängigkeitsstrukturen gefangen: in Einrichtungen, bei den Eltern oder auf Hilfe von Menschen angewiesen, die sie nicht selbst gewählt haben. Das Arbeitgebermodell der persönlichen Assistenz durchbricht dieses Muster: Ich entscheide selbst, wer mich unterstützt, wann ich Unterstützung benötige und wie ich meinen Alltag gestalten will.
Doch wie fühlt es sich an, wenn immer jemand da ist? Genau hier liegt die feine Gratwanderung: Assistenzkräfte müssen präsent sein, wenn sie gebraucht werden – und unsichtbar bleiben, wenn sie nicht gebraucht werden. Diese Balance ist anspruchsvoll, für alle Beteiligten.
Für mich geht es darum, eine Selbstverständlichkeit in meinem eigenen Zuhause zu schaffen: Assistenz ist keine Einmischung, sondern eine Ermöglichung. Für die Assistenzkräfte selbst bedeutet das jedoch eine Herausforderung: Sie müssen ihre eigene Persönlichkeit zurücknehmen, meinen Alltag mittragen, ohne sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen. Das erfordert Fingerspitzengefühl, soziale Intelligenz und oft eine große emotionale Flexibilität.
Das Leben in einer inklusiven WG verändert nicht nur mich, sondern auch meine nichtbehinderten Mitbewohner:innen – es verändert ihren Blick auf ein Leben mit Behinderung und diese andere Wahrnehmung tragen sie in die Gesellschaft. Wer einmal erlebt hat, dass Assistenz nicht „Pflege“ ist, sondern ein Werkzeug für Freiheit, denkt anders über Behinderung.
Denn das eigentliche Problem sind oft nicht die Barrieren in Gebäuden, sondern die Barrieren in den Köpfen. Ich organisiere nicht nur meinen Alltag – ich leite Teams, manage Budgets, verhandle mit Behörden und koordiniere mein eigenes Leben in einem Ausmaß, das viele unterschätzen. Es ist ein unfassbarer organisatorischer, sozialer und mentaler Kraftakt – und dennoch begegne ich immer wieder Vorurteilen und Unsicherheiten.
Wer mehr darüber erfahren möchte oder selbst Unterstützung sucht, findet Hilfe bei:
👉 AKSE e.V. 👉 ForseA e.V.
Christian, SMA Typ 2
Hinweis: Erkennbare Markennamen sind willkürlich gewählt und dienen ausdrücklich nicht der Produktplatzierung. Biogen nimmt keinerlei Einfluss auf Umsatzgeschäfte der auf SMAlltalk sporadisch erkennbaren Markenhersteller und es bestehen diesbezüglich keinerlei Erwartungen.
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