

Generell möchte ich gar nicht meckern. Im Jahr 2025 ist das Leben für Menschen mit schweren und schwersten Behinderungen so frei und selbstbestimmt wie nie zuvor in der Geschichte.
Diejenigen unter uns, die älter als – sagen wir mal – 40 Jahre sind, können das besonders gut beurteilen.
Aber nur weil es heute so ist, heißt das nicht, dass alles immer rosig und einfach wäre. Jede Veränderung bringt auch neue Herausforderungen mit sich.
Mein Leben mit Spinaler Muskelatrophie bedeutet, dass ich auf Pflege und persönliche Assistenz in nahezu allen Bereichen des täglichen Lebens angewiesen bin. Theoretisch sollte diese Unterstützung meinen Alltag erleichtern – doch in der Praxis ist sie paradoxerweise manchmal genau der Grund, warum ich graue Haare bekomme.
Besonders herausfordernd wird es, wenn Mitarbeitende psychisch instabil sind oder es Verständnisschwierigkeiten gibt – und damit meine ich nicht sprachliche Barrieren, sondern intellektuelle. Dann wird die Assistenz nicht nur zur notwendigen Hilfe, sondern auch zur Belastungsprobe.
In diesem Beitrag teile ich meine Erfahrungen mit den (zum Glück nicht alltäglichen) Schwierigkeiten, aber auch die Strategien, die sich für mich bewährt haben, um mit solchen Situationen umzugehen.
Denn eines ist klar: Nur wenn ich die jeweilige Situation in den Griff bekomme, kann ich mein Leben weiterhin nach meiner eigenen Regie führen. Andernfalls nehmen manchmal Dramen und Probleme seitens der Assistentinnen und Assistenten Überhand und schwappen ungewollt in mein Privatleben.
Persönliche Assistenten sind nicht nur angestellte Dienstleister, sondern auch Menschen mit eigenen Charakterzügen, Eigenheiten und – hin und wieder – problematischen Verhaltensweisen.
Gelegentlich kommt es vor, dass sich Assistenten, besonders wenn sie neu sind und noch nicht richtig verstanden haben, dass es sich um eine berufliche Tätigkeit und nicht um eine private Beziehung handelt, in mein Privatleben einmischen.
Dann kommentieren sie zum Beispiel meine Telefonate, stellen unangebrachte Fragen oder versuchen, private Informationen zu erlangen, die nichts mit ihrer Arbeit zu tun haben. Einige zeigen zudem ein auffällig starkes Interesse an ihren Kolleginnen und Kollegen und möchten alles Private über sie erfahren. Auch das ist ein absolutes No-Go. In solchen Fällen frage ich sie direkt, ob sie es ebenfalls in Ordnung fänden, wenn ich persönliche Informationen über sie an andere Kollegen weitergeben würde.
Besonders grenzüberschreitend wird es, wenn Assistenten ungefragt meine Briefe öffnen, sie schnell überfliegen und den Inhalt kommentieren. So etwas geht überhaupt nicht.
Hier ist es essenziell, höflich, aber bestimmt und sofort klare Grenzen zu setzen – ein Prozess, der nicht selten viel Energie und ein erhebliches Fingerspitzengefühl erfordert. Denn oft passiert das Gleiche beim nächsten Mal wieder. Wiederholung, Wiederholung, Wiederholung.
Menschen, die eigentlich selbstverständliche Grenzen nicht erkennen, empfinden ihr Verhalten nicht als falsch und fühlen sich daher zu Unrecht kritisiert. Mir ist es wichtig, ihnen klarzumachen, dass sie meine persönlichen Grenzen überschreiten und dass ich das nicht akzeptiere.
Ein entscheidender Punkt beim Schutz der Privatsphäre ist zudem die Erkenntnis, dass jede noch so kleine Information für andere eine Bedeutung haben kann – sei es, dass sie bewertet, analysiert, weitererzählt, aufgebauscht oder falsch interpretiert wird.
Da ich einen enorm großen Teil meines Privatlebens zwangsläufig mit anderen Menschen teile, die mir assistieren, habe ich über die Jahre Strategien entwickelt, um so viel wie möglich privat zu halten. Wenn ich telefoniere, bitte ich meine Assistenten, außer Hörweite zu gehen. Meine Post lasse ich nur von Personen öffnen, denen ich vertraue. Informationen, die ich als privat empfinde, gebe ich gar nicht erst weiter.
Treffen mit meiner Familie und meinen Freunden finden ohne Assistenz in unmittelbarer Nähe statt. Auch berufliche Termine nehme ich grundsätzlich allein wahr.
So manches Mal fehlt es dem einen oder anderen Assistenten an der Fähigkeit, selbstständig und angemessen zu handeln. Offensichtliche Situationen – wie eine ausgelaufene Speise im Kühlschrank – werden entweder nicht erkannt oder absichtlich ignoriert.
Die simple Transferleistung, den Schmutz zu beseitigen, bleibt aus – sei es aus Unfähigkeit, Unaufmerksamkeit oder reiner Bequemlichkeit. Alle drei Fälle sind möglich. In solchen Situationen ist es mühsam, immer wieder auf scheinbar selbstverständliche Aufgaben hinzuweisen, besonders wenn die Assistenz bewusst wegschaut.
Ich stehe auf dem Standpunkt, dass ich für alles, was mein Leben und die Abläufe betrifft, die Endverantwortung trage. Die Assistenten ersetzen schließlich meine Arme und Beine – nicht aber meinen Kopf. Das bedeutet jedoch nicht, dass ich sie nahtlos mikromanagen muss.
Wenn jemand beim Blumengießen Wasser neben den Topf kippt, sollte es selbstverständlich sein, die Pfütze aufzuwischen, anstatt einfach wegzugehen. Ich erwarte nicht, dass ein Assistent sämtliche Aufgaben proaktiv übernimmt. Es wäre jedoch wünschenswert, wenn Dinge nicht bewusst liegen gelassen würden.
Eine der größten Herausforderungen im Umgang mit Assistenzkräften ist das unzuverlässige Verhalten einiger weniger Mitarbeiter. Kurzfristige Krankmeldungen sind dabei ein wiederkehrendes Ärgernis – oft mit fragwürdigen Begründungen. Mehrfache Todesfälle derselben Großmutter, eine Häufung von Autounfällen oder plötzlich auftretende Krankheiten genau am gewünschten freien Tag sind auffällig. Solche Situationen bringen meinen gesamten Tagesablauf durcheinander, und Pläne müssen verworfen oder stark angepasst werden.
Auch eine Flut von acht bis zehn langen Sprachnachrichten oder permanentes Schreiben vor oder nach dem Dienst – sei es, um Schichten zu tauschen, abzusagen oder sich über den Arbeitgeber (das bin nicht ich) zu beschweren – strapazieren meine Nerven. Meine Lösung: den Chat auf stumm schalten und/oder einige Zeit nicht reagieren. Ich lasse mich nicht in fremde Dramen hineinziehen.
Besonders belastend sind emotionale Ausbrüche. Von hysterischem Weinen über Panikattacken bis hin zu theatralischen Erklärungen – all das ist vorgekommen und wird auch in Zukunft vorkommen. In solchen Momenten bleibt mir oft nichts anderes übrig, als meine eigenen Bedürfnisse hintenanzustellen, bis sich die Lage beruhigt. Eine Tätigkeit einzufordern, während meine Assistenz einen Nervenzusammenbruch hat (oder sich in einen hineinsteigert), ist schlicht nicht möglich.
Zeigt eine Person häufiger solche Verhaltensweisen, helfen Gespräche oder Änderungen im Dienstplan meist nicht – dann trenne ich mich. So groß mein Verständnis für persönliche Herausforderungen auch ist, bleibt meine Grundforderung: Assistenten müssen ihren Beruf ernst nehmen. Sie sollten nicht nur pünktlich und zuverlässig sein, sondern auch ein Mindestmaß an psychischer Stabilität mitbringen. Es ist inakzeptabel, persönliche Probleme oder emotionale Belastungen in den Beruf einzubringen und damit mich zu belasten.
Auch ich kann das nicht bei meinem Arbeitgeber. Entweder ich bin krank und bleibe zu Hause, oder ich bin so fit, dass ich arbeiten kann. In sozialen Berufen gibt es oft einen gewissen Spielraum, doch in meiner langjährigen Erfahrung mit Assistenz habe ich es nicht selten erlebt, dass jemand zum Dienst kommt, erst einmal zusammenbricht und dann einen Kaffee braucht, um sich von seinem anderen Job, den Kindern oder persönlichen Problemen zu erholen.
Für mich hat sich bewährt, in solchen Fällen einen Kompromiss zu finden: Wenn ich die Assistenz für eine Aufgabe benötige, kommuniziere ich klar, aber freundlich: „Wir können gerne einen Kaffee trinken, aber in 20 Minuten beginnen wir mit der Tätigkeit.“ So halte ich die Balance zwischen Verständnis und der Notwendigkeit, dass die Arbeit gemacht wird.
Gute, qualifizierte Assistenzkräfte sind überhaupt nicht so selten, wie es mein Bericht vermuten lassen könnte. Der Beruf wird oft von Quereinsteigern, Studenten oder ungelernten Kräften ausgeübt. Viele sind in ihrem Job wunderbar.
Dennoch fehlt es einigen Assistenten an Bewusstsein dafür, wie essenziell diese Tätigkeit für mein Leben ist. Arbeitgeber bemühen sich, Personal zu qualifizieren, doch in manchen Fällen gleicht dies einem Kampf gegen Windmühlen.
Obwohl der Lohn in den letzten Jahren gestiegen ist, bleibt die Assistenz für viele Arbeitssuchende nicht die erste Wahl. Der Beruf erfordert Pflichtbewusstsein, Empathie, emotionale Stabilität und ein hohes Maß an Anpassungsfähigkeit – Qualitäten, die nicht jeder mitbringt. Dadurch bleibt mein Leben mit Assistenz etappen- oder phasenweise eine Herausforderung.
Selbstverständlich gibt es aber auch sehr gute, körperlich und psychisch gesunde Assistenten – und zwar die meisten. Ihre Verlässlichkeit und Professionalität machen sie zu einer wirklich wertvollen Unterstützung für mich.
Mein Leben mit Assistenz ist - und das habe ich anfangs bereits erwähnt - wunderbar frei und selbstbestimmt. Dienstplanänderungen, fehlende Zuverlässigkeit und psychisch belastende Situationen sind dennoch auch keine Seltenheit. Doch ich habe im Laufe der vielen Jahre gelernt, mit diesen Herausforderungen umzugehen. Klare Grenzen setzen, Krisenmanagement betreiben und mich immer wieder auf neue Menschen einstellen – all das gehört zu meinem Alltag.
Hinweis: Erkennbare Markennamen sind willkürlich gewählt und dienen ausdrücklich nicht der Produktplatzierung. Biogen nimmt keinerlei Einfluss auf Umsatzgeschäfte der auf SMAlltalk sporadisch erkennbaren Markenhersteller und es bestehen diesbezüglich keinerlei Erwartungen.
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