Redaktionsteam - Camilla
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JAHRGANG 1971 •
SMA TYP II

Rückblick auf den Bildungsweg mit SMA – Kindergarten- und Schulbesuch mit Behinderung in den 70ern & 80ern

Unsere Autorin teilt ihre Erfahrungen im Bildungssystem vor über 40 Jahren. In den 1970er und 1980er dominierten separate Einrichtungen für Menschen mit und ohne Behinderung die Bildungslandschaft. Doch durch die Unterstützung einzelner Lehrpersonen eröffnete sich unserer Autorin die Möglichkeit, eine Regelschule zu besuchen, was ihr Leben nachhaltig prägte.

Aufnahme in einem Klassenzimmer mit mehreren einzelnen Pulten mit Stühlen, die nach vorne zum Lehrertisch zeigen. An der Rückwand sind mehrere Tafeln mit Kreidezeichnungen angebracht, von der Decke hängt eine Weltkarte.
Aufnahme in einem Klassenzimmer mit mehreren einzelnen Pulten mit Stühlen, die nach vorne zum Lehrertisch zeigen. An der Rückwand sind mehrere Tafeln mit Kreidezeichnungen angebracht, von der Decke hängt eine Weltkarte.

Ich bin 1971 geboren und als Kind war es üblich, dass es spezielle Kindergärten für behinderte Kinder gab. Dort war es auch ganz normal, dass Kinder mit geistiger Behinderung gemeinsam mit körperbehinderten Kindern betreut wurden.

Ebenso war es Ende der 70er und in den 80er Jahren üblich, dass Kinder mit allen Arten von Behinderungen gemeinsam zur Schule gingen. So war auch ich bis zur 5. Klasse nur in meiner Freizeit mit Kindern zusammen, die damals als „gesund“ bezeichnet wurden. Weder ich noch meine Freundinnen und Freunde aus der Nachbarschaft haben das in Frage gestellt. Es herrschte einfach die Überzeugung, ein Kind mit Behinderung benötige mehr Betreuung, Hilfe, Anpassungen an das Gebäude usw. und daher gab es für uns Kinder mit Handicap eine eigene Schule. Obwohl meine Freunde und ich das doof fanden, war es aus damaliger Sicht absolut normal und nachvollziehbar. Dennoch habe ich mich nie als so hilfsbedürftig empfunden, dass ich diese Sonderbehandlung willkommen geheißen hätte.

Lehrerin 1 – Kurswechsel ab der 5. Klasse

Wie so oft im Leben ist es eine Person, die die Weichen so stellt, dass sich der eingeschlagene Weg ein wenig ändert. Erst sehr viel später im Leben merkt man, wie groß der Kurswechsel, bzw. die Unterstützung auf dem Weg dann doch war und wie wertvoll. In meinem Leben waren es sogar zwei Personen - und dafür bin ich den beiden noch immer dankbar.

Im ersten Fall war das meine erste Klassenlehrerin, die mich bis zur 5. Klasse stets gefördert und gefordert hat. Während meiner gesamten Grundschulzeit wurde ich separat unterrichtet, da mein Leistungsniveau höher war als das der anderen Kinder. Zwei Jungs, die älter waren als ich, erhielten ebenfalls individuellen Unterricht.

Und dann gab es an einem Gymnasium ein vollkommen neues Projekt: Kinder, die rein körperbehindert waren, jedoch kognitiv fit, konnten über einen Zeitraum von sechs Wochen eine Art Praktikum machen. Ziel war es, zu prüfen, ob die Kinder mit Handicap mit dem Unterrichtsstoff zurechtkommen und ob die Kinder ohne Einschränkungen gewillt wären, ihre neuen Klassenkameraden mit kleinen Handreichungen zu unterstützen.

Lehrerin 2 – „Normale Schule“ – ich komme!

Besagte erste Lehrerin erzählte mir von dem Projekt und ich war begeistert. Das wollte ich schon immer! Und so meldete sie mich nach Rücksprache mit meinen Eltern dort an. In der damaligen Zeit war es ein sehr außergewöhnlicher Versuch, etwas vollkommen Neues.

Der Übergang in diese Schule verlief so unglaublich reibungslos, dass alle Vorurteile, die die Notwendigkeit einer separaten Beschulung betrafen, ad absurdum geführt wurden.

Und so kam es, dass die beiden Jungs und ich nach der sechswöchigen Probephase komplett auf dieses Gymnasium wechselten. Die beiden kamen in die 7. und 8. Klasse, ich in die 5. Klasse. Ab da wurde ich dann endlich nicht mehr einzeln in einer Behindertenschule unterrichtet, sondern war in einer Regelschule im Klassenverband mit allen anderen Kindern komplett integriert.

Hier war es die nächste Klassenlehrerin, der ich sehr viel zu verdanken habe. Sie war fröhlich, offen, patent und pragmatisch und machte aus der Tatsache, dass ich das einzige Kind im Rollstuhl in dieser Klasse war, nie etwas, was man erwähnen musste, behandelte alle Kinder grundsätzlich gleich und schaffte so ein absolutes Selbstverständnis auf allen Seiten. Selbst auf Klassenfahrten übernahm sie meine Pflege, sodass ich mittendrin und voll dabei sein konnte.

Wie verlief mein Schulalltag

Ich wurde am Morgen aus meinem 20 km entfernten Wohnort mit einem uralten, von der Bundeswehr ausrangierten VW-Bus (auf dessen Sitz ich ohne Anschnallgurt saß) in die Schule gefahren und hatte dort lediglich einen manuellen Rollstuhl. Aus meiner Klasse hatten sich vier Kinder freiwillig gemeldet, um mich zu schieben, mir mit der Jacke zu helfen, die Bücher und Hefte ein- und auszupacken etc. Neben diesen Klassenkameraden konnte ich aber auch alle anderen Kinder aus meiner Klasse ansprechen, jeder hat geholfen. Und das vollkommen tiefenentspannt.

Die Offenheit und Flexibilität der Schule war wunderbar. Um eine kleine Stufe zu überwinden, wurde eine Rampe angebaut, das Sprachlabor sowie der Kunstraum wurden nach unten ins Erdgeschoss verlegt, beim Sportunterricht schaute ich einfach nur zu und mehr war gar nicht nötig. Wie das bei Kindern so ist, waren wir alle sehr unkompliziert und haben uns nicht den Kopf über mögliche Was-wäre-wenns zerbrochen. Im Gegenteil, es gab sogar teilweise Streitereien, wer mich schieben durfte und wer (großer Bonus der Schule!) in der Pause bei mir drinnen bleiben durfte, wenn es regnete. Da mussten nämlich alle anderen Kinder trotzdem raus.

Knapp 1100 Tage später

Nach drei Jahren verweigerte der Kostenträger, der den Fahrtransport finanziert hatte, die weitere Zahlung. Der Grund war, dass es eine Schule gab, die näher an meinem Wohnort lag. Hierhin sollte ich wechseln, damit die Transportkosten geringer ausfielen. Das war aus mehreren Gründen absolut keine Option.

Eine sehr lange Geschichte kurz zusammengefasst: Ich musste die Schule wechseln und entschied mich für ein Gymnasium, wo ich zwar weiterhin mit Kindern ohne Einschränkungen zusammen unterrichtet wurde, aber in einem Internat leben musste, da die Schule gut eineinhalb Stunden von meinem Wohnort entfernt war.

Man darf nicht vergessen, dass die Inklusion zu diesem Zeitpunkt noch nicht so weit fortgeschritten war, dass ich eine freie Wahl gehabt hätte. Es war wirklich die einzige Möglichkeit für mich, an einem reinen Gymnasium gleichberechtigt mit Kindern ohne Behinderung unterrichtet zu werden.

Kleiner Funfact: Die Kosten dafür waren für den Kostenträger exorbitant höher als die Fahrtkosten zu meiner ersten Schule, aber die Übernahme war überhaupt kein Problem.

An der neuen Schule hatte ich es zunächst nicht ganz so leicht wie an der vorigen, dennoch war es auch hier kein Problem, von den anderen Kindern/Jugendlichen und Lehrern die Hilfe zu bekommen, die ich benötigte.

Mein Wechsel von einer Behindertenschule in eine Regelschule ist nun über 40 Jahre her und ist eine der besten Entscheidungen in meinem Leben. Noch immer habe ich zum harten Kern meiner Freundinnen von damals guten Kontakt und bin sogar die Patentante der Tochter einer Freundin.

Mein Fazit heute
Mein Wechsel von einer Behindertenschule in eine Regelschule ist nun über 40 Jahre her und war eine der besten Entscheidungen in meinem Leben. Noch immer habe ich zum harten Kern meiner Freundinnen von damals guten Kontakt und bin sogar die Patentante der Tochter einer Freundin.

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JAHRGANG 1971 •
SMA TYP II

Fortsetzung folgt...

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