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SMAlltalk SMA
Die Physiotherapie spielt eine zentrale Rolle in der Behandlung von Menschen mit spinaler Muskelatrophie (SMA). Sie kann den Verlauf der Erkrankung zwar allein nicht aufhalten, aber sie kann ihn positiv beeinflussen – insbesondere, wenn frühzeitig damit begonnen wird.
Ziel ist es, motorische Fähigkeiten zu erhalten, die Atemfunktion zu unterstützen und vor allem die Lebensqualität und Selbstständigkeit der Betroffenen langfristig zu sichern.
Physiotherapie ist weit mehr als „Bewegungstraining“. Sie hilft, Teilhabe zu ermöglichen, Sekundärschäden zu vermeiden und körperliche Ressourcen zu stärken. Dabei steht immer der Mensch im Mittelpunkt: Die Ziele werden individuell festgelegt, abhängig vom Alter, der Ausprägung der Symptome und den persönlichen Lebensumständen. So kann die Therapie ganz unterschiedlich aussehen – aber immer orientiert sie sich daran, wie der Alltag der Betroffenen bestmöglich unterstützt werden kann.
Menschen mit SMA unterscheiden sich deutlich in ihren motorischen Möglichkeiten. Entsprechend vielfältig sind die Schwerpunkte der Therapie. Bei sehr schweren Verlaufsformen geht es vor allem um die Unterstützung der Atmung, das Sekretmanagement und die Lagerung des Körpers, um Druckstellen zu vermeiden und die Wahrnehmung zu fördern.
Bei weniger schweren Formen der SMA stehen Erhalt und Aufbau von Kraft, Ausdauer und Beweglichkeit im Vordergrund, ergänzt durch Stehtraining und die Anleitung von Angehörigen. Ziel ist es, selbstständiges Sitzen, Stehen und funktionelle Bewegungen so lange wie möglich zu ermöglichen.
Menschen mit vielen SMN2-Kopien und dadurch milderen Verläufen profitieren von Übungen, die die Geh- und Stehfähigkeit erhalten, das Gleichgewicht schulen und Transfers erleichtern – also Bewegungen wie das Umsetzen vom Rollstuhl auf das Bett oder den Stuhl. Bei spät einsetzender SMA, die meist erst im Erwachsenenalter auftritt, konzentriert sich die Physiotherapie auf den Erhalt der Selbstständigkeit, die Vermeidung von Sekundärschäden und eine möglichst sichere, aktive Alltagsgestaltung.
Mit dem Steh- und Balancetrainer lassen sich Arme und Beine sicher trainieren – angepasst an individuelle Fähigkeiten
Kinder mit SMA sollen spielerisch in Bewegung kommen. Die Therapie fördert die motorische Entwicklung im Rahmen des Möglichen und bezieht die Eltern stark ein. Sie lernen, wie sie durch Lagerung, Mobilisation und Atemübungen unterstützen können.
In der Jugend rückt zunehmend die Eigenverantwortung in den Fokus. Jugendliche lernen, ihre Belastungsgrenzen zu kennen, Übungen selbstständig umzusetzen und Hilfsmittel sicher zu handhaben – auch im Schulalltag oder in der Freizeit.
Für Erwachsene steht schließlich der langfristige Erhalt von Beweglichkeit, Kraft und Teilhabe im Vordergrund. Aus der regelmäßigen Therapie wird ein lebenslanges Training, das sich an wechselnde Lebenssituationen anpasst und hilft, möglichst unabhängig zu bleiben.
Auch wenn die wissenschaftliche Datenlage noch begrenzt ist, zeigt die Praxis deutlich, was hilft: Ein ressourcenorientierter Ansatz, der die vorhandenen Fähigkeiten in den Mittelpunkt stellt, wirkt besonders nachhaltig. Überforderung wird vermieden, stattdessen wird dosiert und regelmäßig trainiert – ohne Erschöpfung, aber mit langfristiger Kontinuität.
Ebenso wichtig ist eine früh einsetzende Atemtherapie. Sie kann helfen, Infekte zu vermeiden und die Lungenfunktion zu stabilisieren. Bewegungen werden möglichst symmetrisch ausgeführt, um Fehlhaltungen und Skoliose vorzubeugen. Moderne Hilfsmittel und Robotik können zusätzlich Bewegungen ermöglichen, die sonst nicht machbar wären – etwa durch Stehtrainer, Exoskelette oder Bewegungstrainer.
Was in der Therapie gelernt wird, sollte im Alltag weitergeführt werden. Physiotherapie entfaltet ihre Wirkung vor allem dann, wenn sie Teil des täglichen Lebens wird. Übungen lassen sich oft gut integrieren – etwa durch bewusste Bewegungsübergänge beim Aufstehen oder Umlagern im Bett. Auch Atemübungen können in ruhigen Momenten zwischendurch durchgeführt werden.
Ein Beispiel ist die sogenannte C-Lagerung, bei der der Brustkorb sanft mobilisiert wird – allein oder mit Unterstützung einer anderen Person. Entscheidend ist, dass alle Übungen an die individuellen Fähigkeiten angepasst sind.
Ein möglichst früher Beginn der Physiotherapie legt den Grundstein für Mobilität und Teilhabe. Ob durch Rollstuhltraining, Kräftigungsübungen, Atemunterstützung oder den Einsatz von Hilfsmitteln – Physiotherapie schafft Stabilität und Selbstvertrauen. Sie ist kein starres Programm, sondern ein fortlaufender Prozess, der immer wieder an die aktuellen Bedürfnisse angepasst wird.
Auch Angehörige spielen eine wichtige Rolle. Sie können die physiotherapeutische Arbeit unterstützen, indem sie das Gelernte in den Alltag übertragen und gemeinsam mit den Betroffenen beobachten, was gut funktioniert und wo Anpassungen nötig sind. Regelmäßiger Austausch mit Therapeut*innen ist dabei entscheidend – ebenso wie das Vertrauen, dass nicht alles allein gelingen muss.
Nicht jede Übung und nicht jedes Hilfsmittel ist für alle geeignet. Neue Bewegungen, intensives Training oder der Einsatz unbekannter Geräte sollten nie ohne vorherige Absprache ausprobiert werden. Eine zu hohe Belastung kann mehr schaden als helfen – maßvolles, angepasstes Training ist der Schlüssel.
Wer eine geeignete Physiotherapiepraxis sucht, kann sich an die Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke e.V. (DGM) oder an neuromuskuläre Zentren wenden. Auch Selbsthilfegruppen sind wertvolle Ansprechpartner, um Erfahrungen und Empfehlungen auszutauschen. Wichtig ist, dass die Praxis Erfahrung mit neuromuskulären Erkrankungen hat, idealerweise mit Schwerpunkt Neurologie oder Pädiatrie, und bereit ist, eng mit anderen Fachdisziplinen zusammenzuarbeiten.
Physiotherapie ist bei SMA weit mehr als reine Bewegung – sie ist Lebensbegleitung. Durch gezieltes, individuell angepasstes Training trägt sie dazu bei, Selbstständigkeit, Teilhabe und Lebensqualität zu erhalten. Je früher und kontinuierlicher sie beginnt, desto größer ist ihr Einfluss auf ein aktives, selbstbestimmtes Leben mit SMA.
Unterstütztes Gehtraining: Der Gangtrainer hilft, Bewegungsmuster zu erhalten und die Muskulatur zu aktivieren.
Gastautorin Jacqueline, Physiotherapeutin
Fortsetzung folgt...
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