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Sexualität mit SMA – Teil 1 – Chris & Chris berichten von ihren Erfahrungen

Im Interview geben Chris Lily und Christian persönliche Einblicke zum Thema Sexualität mit Behinderung.

Kollage zweier Portrait-Bilder von SMA-Betroffenen
Kollage zweier Portrait-Bilder von SMA-Betroffenen

Chris Lily (links) & Christian (rechts) 

Welche Erfahrungen habt ihr bisher mit Sexualassistenz gemacht?

Chris Lily: Ich habe in meinem Leben schon einige Erfahrungen mit Sexualassistenz bzw. Sexualbegleitung gemacht. Tatsächlich habe ich sogar schon in einem Buch mit dem Titel „Angry Cripples – Stimmen behinderter Menschen gegen Ableismus“ mitgeschrieben, in dem ich über genau dieses Thema berichte.

Für mich ist Sexualbegleitung zwar grundsätzlich etwas Positives, aber leider gleichzeitig etwas, das viel zu sehr mit dem Thema Behinderung verbunden ist. Man denkt erstmal, das Thema sei ausschließlich für Menschen mit Behinderung interessant – dabei ist das nicht der Fall. Eigentlich handelt es sich eher um eine Dienstleistung für Menschen, die generell Schwierigkeiten mit dem eigenen Körper und der eigenen Sexualität haben. Die Ausprägungen sowie Gründe hierfür können unterschiedlich sein. Es gibt viele Menschen, die sich nicht schön finden oder die aus familiären oder religiösen Gründen vorbelastet sind. Andere müssen vielleicht Traumata verarbeiten und haben daher einen schwierigen Zugang zu sich selbst. In all diesen Fällen kann Sexualbegleitung unter Umständen hilfreich sein.

Für mich bedeutete Sexualbegleitung immer, eine Art und Weise, etwas für meine Beziehungen mitzunehmen. Denn seit nun 13 Jahren bin ich in der BDSM-Szene unterwegs und stehe vor allem auf Spiele mit Seilen oder anderen festen Materialien. Meine Partner*innen waren diesbezüglich aber nie wirklich erfahren.

Schwarzweiß Bild einer Person mit Behinderung, die in Reizwäsche auf dem Boden vor einer anderen Person mit nacktem Oberkörper sitzt, deren Gesicht nicht abgebildet ist und die in einem Sessel sitzt. Die mit Reizwäsche bekleidete Person mit Behinderung und Reizwäsche trägt Metallfesseln an Handgelenken und Hals und lehnt sich an die im Sessel sitzende Person..
Schwarzweiß Bild einer Person mit Behinderung, die in Reizwäsche auf dem Boden vor einer anderen Person mit nacktem Oberkörper sitzt, deren Gesicht nicht abgebildet ist und die in einem Sessel sitzt. Die mit Reizwäsche bekleidete Person mit Behinderung und Reizwäsche trägt Metallfesseln an Handgelenken und Hals und lehnt sich an die im Sessel sitzende Person..

Wenn ich also etwas Neues ausprobieren wollte, habe ich mir eine Sexualbegleitung gesucht, die viel Erfahrung mit der gewünschten BDSM-Praxis hatte. Daraus konnte ich dann viel mitnehmen für meine bestehende Beziehung. So habe ich Sexualbegleitung angewandt. Für andere Menschen ist es dagegen eher eine Art und Weise, mit dem eigenen Körper und der eigenen Sexualität in Kontakt zu kommen. Ziel dieser Dienstleistung ist quasi, dass die Kund*innen die Sexualbegleitung oder -assistenz am Ende gar nicht mehr benötigen.

Christian: Ich würde erstmal die Unterscheidung zwischen Sexualbegleitung und Sexualassistenz machen. Bei der Sexualbegleitung würde ich dir nämlich 100%-ig zustimmen. Von Sexualassistent*innen habe ich aber schon gehört, dass sie es ein wenig anders sehen.

Es gibt nämlich auch Klient*innen, die können sich zum Beispiel nicht selbst befriedigen und möchten deshalb dafür Hilfe in Anspruch nehmen.

In solchen Fällen kann es natürlich eine langfristige Dienstleistung sein. Das gilt aber auch in der Partnerschaft: Wenn ich zum Beispiel eine Partnerin habe, die mit mir verschiedene Sachen ausprobieren würde, aber das zu zweit nicht geht – eben aufgrund meiner Behinderung – dann kann eine Assistenz da eine Hilfestellung sein.

Ich möchte allerdings betonen, dass die Sexualbegleitung für mich keine Alternative zur Beziehung ist! Das soll es auch nicht sein. Es kann eine Dienstleistung sein, um sich weiterzuentwickeln oder bestimmte Barrieren zu umschiffen.

Ein großer Kritik-Punkt ist: Es macht im Prinzip eine neue „Sonderwelt“ auf. Wir haben Sonderschulen, Werkstätten für Behinderte, besondere Medizin – alles mögliche ist schon in einer „Sonderwelt für behinderte Menschen“. Ich sehe es kritisch, uns auch beim Thema Sexualität in eine Sonderwelt zu schieben. Leider kann das in unserer Gesellschaft den Gedanken fördern:

„Für die Behinderten gibt es ja Sexualbegleitung – da muss man sich nicht mehr weiter drum kümmern.“ Das wäre das Gegenteil von Inklusion! ❌

Chris Lily: Würdest du es wirklich als Sonderwelt sehen? Wir haben ja genügend Sexarbeitende, die zwar Sexualbegleitung oder -assistenz anbieten, die aber zum Beispiel nicht speziell dafür ausgebildet wurden.

Christian: Ja, wenn ich dann sage, okay, das ist eine Dienstleistung, wie für alle anderen, dann geht es schon eher in Richtung Inklusion. Trotzdem besteht die Gefahr, dass die Gesellschaft uns in eine Schublade steckt und sagt: „Okay, ihr seid behindert, dann nutzt halt einfach Sexualbegleitung.“ So würden nämlich keine Räume geschaffen werden, um eine normale Partnerschaft entwickeln zu lassen.

Chris Lily: Das würde ich eher als Gefahr in institutionellen Räumen sehen. Ich denke, Sexarbeit im Allgemeinen ist mindestens genauso tabuisiert wie Sex mit Behinderung.

Christian: Da gebe ich dir Recht: Man muss auch das Thema Institutionalisierung betrachten!

Wo kann ich mich zum Thema Sexualassistenz/Sexualbegleitung informieren?

Christian: Es gibt auf Kissability eine Liste von Leuten. Das sind nicht viele, da ich nur diejenigen aufgelistet habe, die sich bei mir gemeldet haben. Aber das könnte zum Beispiel eine Plattform sein.

Chris Lily: Ansonsten gibt es so eine Liste auch bei Deva Bhusha auf der Website. Sie empfiehlt dort Kolleg*innen – sowohl mit Ausbildung als auch ohne. Ich würde mich auch an den Berufsverband für Sexarbeit wenden.

Wie finde ich heraus, was das Richtige für mich ist und welches Angebot seriös ist?

Christian: Leider hat man da eh nicht so viel Auswahl. Wenn man in der Nähe jemanden hat, der das anbietet, kommt es total auf die Wellenlänge an. Die Entscheidung, ob es passt, ist eine sehr persönliche und individuelle. Da muss man einfach mal miteinander telefonieren oder schreiben und abklären, was einem wichtig ist.

Chris Lily: Das würde ich auch sagen. Das Wichtigste ist Sympathie! Man verbringt ja doch eine gewisse Zeit miteinander und auch eine eher intime Zeit. Es ist immer gut, sich an Sexarbeitende zu wenden, von denen man weiß, dass sie selbstständig sind. Das ist eher bei Leuten der Fall, die allein irgendwo auftreten und nicht in Bordellen oder so. Ansonsten kommt es auf Mindset und Sympathie an. Ob das passt, weiß man erst, wenn man sich kennt.

Tabuthema Sexualität mit Behinderung – ihr geht da ja sehr offen mit dem Thema um, auch auf eurem Blog oder Social Media. Wie sind denn da die Reaktionen?

Christian: Eigentlich bisher eher positiv. Viele Leute sehen, dass das Thema wichtig ist und in die Öffentlichkeit gehört. Ich habe allerdings auch negative Erfahrungen gemacht. Ich war mal Behindertenbeauftragter der Stadt Koblenz. Aufgrund meiner Tätigkeit in dem Bereich Sexualität wurde ich nicht wieder gewählt. Die eher konservativen Fraktionen in unserem Stadtrat hatten Probleme mit dem Thema. Obwohl es doch wichtig ist, gerade als Behindertenbeauftragter dieses Thema nicht außen vor zu lassen. Es hat mir also tatsächlich eine politische Karriere versaut. Das ist aber nun 3 Jahre her und ich trauere dem nicht mehr hinterher. So richtig schlimmen Hass im Netz habe ich zum Glück nie erlebt.

Chris Lily: Bei mir haben sich die Reaktionen leider verändert im Laufe der Jahre. Am Anfang war ich sehr mono-thematisch auf Sexualität fokussiert. Mittlerweile habe ich auf Social Media ein weiteres Themen-Spektrum und behandle auch Themen für queere Menschen. Ich habe für Betroffene von sexueller Gewalt Spenden gesammelt. Da wird es schon unschön. Es war unter anderem religiöser Hate dabei. Ich wurde beleidigt und sogar bedroht. Das Leben war einfacher, als ich mich rein auf Sexualität bezogen habe.

Christian: Es taucht viel Online-Hass im Gender- und Trans-Bereich auf – was echt schlimm ist.

Chris Lily: Ja. Ich habe auch versucht, die Leute anzuzeigen, aber es wird dir hinten und vorne nicht geholfen – auch von behördlicher Seite nicht. Man steht ziemlich alleine da. Ich habe aber für mich eine Art gefunden, damit umzugehen: Den religiösen Hate habe ich zum Beispiel in einem Fotoshooting mit Freund*innen verarbeitet – einfach aus einer Trotzreaktion und auch als Provokation. Ich bin eine Person, die sich wehren muss: Es würde mir nicht gut damit gehen, das einfach so runterzuschlucken. Es ist mir wichtig, zu zeigen: „Es ist egal, wie viel Hass ihr mir entgegen schmeißt. Ich werde deswegen nicht leiser und ich verschwinde deswegen auch nicht!“

Wie sehr mich das Ganze trifft, ist allerdings abhängig davon, wie ich außerhalb meiner Arbeit gerade drauf bin. Ich bin aktuell durch die Hormontherapie in einer Phase, wo ich Stimmungsschwankungen unterliege. Man sagt immer so salopp: „Es ist wie eine zweite Pubertät.“ Ganz so einfach ist es nicht, aber es geht in die Richtung. Wenn ich schwächere Momente habe, geht mir der Hass sehr nahe. In meinen etwas besseren Momenten habe ich ein sehr dickes Fell. 💪 

Ich muss dazu aber auch sagen, meine Bubble ist glücklicherweise extrem stabil: Ich habe viele liebe Menschen um mich herum, die meine Werte und Einstellungen voll vertreten. Das hilft mir extrem. 🥰

Schön, dass du trotzdem weitermachst und damit sicher auch anderen Mut machst, die in einer ähnlichen Lage sind.
Welchen Einfluss hat es auf das Sexualleben der Betroffenen, wenn sie solche negativen Stimmen mitbekommen?

Chris Lily: Ich hoffe, der Einfluss ist nicht allzu groß. Aber aus eigener Erfahrung und auch von anderen weiß ich, wenn man dir ständig sagt: „Du bist nicht hübsch. Du kannst dieses nicht und jenes nicht. Das wird nie etwas…“ – dann glaubst du das irgendwann.  ❤️‍🩹

Das ist das Schlimmste, was passieren kann – in diese Spirale von Selbstzweifel und Selbsthass zu fallen. Denn aus dieser ist es wirklich schwer, rauszukommen. Das erfordert wahnsinnig viel Reflexion und teilweise auch Unterstützung von außen.

Umso wichtiger sind all die (öffentlichen) Stimmen, die sagen:

„Hey schaut mal, ihr seid schön, ihr seid sexy! Man muss keine Normschönheit sein. Ihr seid einfach gut, so wie ihr seid! 🫶“

Christian: Ich finde es wichtig, sich trotzdem zu trauen und sich nicht unterkriegen zu lassen. Man muss sich klar machen: Diese negativen Stimmen sind nicht die objektive Wahrheit. Ich denke mir dann: „Das ist vielleicht deine Meinung, aber ich bin und bleibe trotzdem ein attraktiver Mensch.“ Das ist nicht immer einfach, aber man muss es sich immer wieder klar machen. In so einer Situation hilft es, sich in Kreise zu begeben, wo man Gleichgesinnte findet oder sich mit Freunden auszutauschen.

Die Erfahrung, dass man selber als weniger wertvoll, leistungsfähig oder attraktiv wahrgenommen wird – vor allem in der Jugend – haben wir wohl alle schon gemacht. Ich kenne eigentlich keinen Menschen mit Behinderung, der das nicht an der einen oder anderen Stelle mal erlebt hat. Allein diese Gewissheit – dass man damit nicht alleine ist und es ein gesellschaftliches Phänomen ist – kann sehr tröstend sein.🤝

Chris Lily spricht im Internet offen über ihre Sexualität mit Behinderung.

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Fortsetzung folgt...

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