Redaktionsteam - Camilla
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JAHRGANG 1971 •
SMA TYP II

Älter werden mit SMA Typ 2 – Die psychische Komponente des Alterns mit spinaler Muskelatrophie

Heute ist der 16.01.2024 und ich bin damit genau 19352 Tage alt. Das sind knapp 636 Monate oder 52 Jahre, 11 Monate, 25 Tage.

sechs Hände halten sich gegenseitig am Handgelenk und bilden einen Kreis
sechs Hände halten sich gegenseitig am Handgelenk und bilden einen Kreis

Dafür, dass mir eine Lebenserwartung von ca. 20 Jahren vorhergesagt wurde, bin ich also ziemlich alt. Zu jedem, der sich nun Sorgen macht, wie‘s mir wohl geht, kann ich beruhigend sagen: Es geht mir prima.

Natürlich bin ich nicht mehr ganz so frisch wie noch vor 25 Jahren, aber guckt euch mal andere Leute in meinem Alter an. 😊 Einer kommt kaum noch von der Couch hoch, wenn er sitzt, andere Ü-50-Jährige haben es an der Bandscheibe, müssen so langsam den Fernseher lauter stellen und auf ein eBike umstellen oder vertragen es auf einmal nicht mehr, ein Glas Bockwurst gemeinsam mit einer Tüte Chips zu essen.

Wie ich in meinem zweiteiligen Bericht über den Verlust der Muskelkraft bereits geschrieben habe, geht es mit einer progressiven SMA selbstverständlich einher, anders und schneller schwächer zu werden als Gleichaltrige, die diese Diagnose nicht haben.

Aber schauen wir uns doch einmal die seelische Seite an.

Und hier kann ich ganz klar sagen, dass meine sowieso schon immer / meistens stabile Psyche über die Jahre durch alle Hochs und Tiefs, die jeder Mensch im Leben erlebt, noch stabiler geworden ist.

Als eine Person mit sehr hohem Hilfeaufwand bleibt es nicht aus, dass man viele Menschen um sich hat. Nahezu jeder Mensch mit SMA kennt das. Man ist verwoben in einem Helfer-Netzwerk, das sich aus den unterschiedlichsten Charakteren zusammensetzt. Darüber hinaus gibt es natürlich zusätzlich noch den Partner, Familie, Freunde, Arbeitskollegen und sonstige Kontakte.

All diese Menschen bringen ihre eigene Persönlichkeit mit. Ebenso ihre mentale und körperliche Verfassung. Und dieses Gesamtpaket Persönlichkeit überschneidet sich automatisch mit meinem Persönlichkeits-Gesamtpaket. Ihr könnt es euch direkt wie ein Schnittmengendiagramm vorstellen. Überall gibt es kleinere oder größere Überschneidung und ich sitze in der Mitte.

Was zeigt dieses Bild denn nun so schön? Es zeigt, dass es unendlich viele Kontakte gibt, die sich mit dem eigenen Ich überschneiden. Nette Kontakte, doofe Kontakte, freundliche Kontakte, nervige Kontakte, bedrohliche Kontakte, lustige Kontakte, intelligente Kontakte, dämliche Kontakte, ganz wunderbare Kontakte und Kontakte, die nahezu unerträglich sind.

All diese haben einen breit gefächerten Einfluss auf die eigene Psyche. Genau das ist aber das Geheimnis, davon bin ich zumindest in meinem Fall überzeugt, warum ich ein solch stabiles und ausgewogenes seelisches Gleichgewicht habe.

Mit über 50 Jahren und ebenso viel Erfahrung im Umgang mit vielen, vielen Menschen, gibt es sehr wenig, was ich noch nicht gehört oder erlebt habe. Ich habe ein hohes Maß an Resilienz. Und sowohl das Gehörte als auch das Erlebte haben mir (extremst aufs Fazit heruntergebrochen) gezeigt, dass ich Situationen verkraften, Probleme lösen und mich Herausforderungen stellen kann.

  • Ich kann es verkraften, wenn mir eine Frau davon berichtet, dass sie aufgrund massiv schlimmer Erlebnisse in ihrer Vergangenheit Trost darin findet, Seife zu essen.
  • Probleme lösen kann ich, wenn mich eine Person auf der Toilette sitzen lässt und den Dienst abbricht, weil sie – bedingt durch Wahnvorstellungen – glaubt, es brennt in meiner Wohnung.
  • Und ich kann mich Herausforderungen stellen, wenn jemand auf meinem Balkon steht und eine massive Panikattacke erleidet.

Das Älterwerden hat mir kontinuierlich Ruhe und Gelassenheit gebracht. Irgendwann hat man, wenn man die 50 Jahre überschritten hat, im Großen und Ganzen schon einmal sehr vieles von dem erlebt, was einem in Bezug auf die psychische Gesundheit passieren kann. Natürlich ist meine diesbezügliche Balance lange nicht ausschließlich durch die diversen Kontakte zu verschiedensten Menschen-Typen geprägt, sondern auch durch meine eigene ererbte und familiär geprägte Art und Weise, wie ich das Leben sehe. Meine eigenen Erlebnisse waren sowohl sehr schön als auch teilweise wirklich schrecklich.

Ein hohes Maß an Resilienz entsteht durch das Zusammenwirken all jener aktiv und passiv erlebten Geschehnisse.

Und so ist es doch irgendwie charmant, dass mir der Körper über die Jahre meine Kraft nimmt, meine Psyche jedoch stets stärker wird.

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