Jahrgang: 1990 •
SMA TYP II

Selbstbestimmung mit SMA – Manchmal muss man loslassen

Es kann herausfordernd sein, trotz SMA seinen ganz eigenen Weg zu finden. Deshalb berichte ich hier, wie mir das „Loslassen“ zu mehr Selbstbestimmung verholfen hat…

Polaroid-Bilder verschiedener Erinnerungen mit Menschen, Reisen und Tieren.
Polaroid-Bilder verschiedener Erinnerungen mit Menschen, Reisen und Tieren.

Ich kam mir zuletzt vor, wie in einer schlechten Komödie aus den 90ern.

Ich stand vor dem Eingang meiner ehemaligen Schule. Der Anlass war eine Jubiläumsfeier. Ein solches Event klingt erstmal protzig, aber das traf nicht unbedingt auf meine Schule zu. Es handelte sich vielmehr um eine Schule für Kinder und Jugendliche mit motorischen Einschränkungen – eine damals noch sehr moderne Idee.

Über drei Ecken erfuhr ich erst wenige Wochen vorher von der besagten Jubiläumsfeier. Ein Gefühl in Form einer unglaublich ergreifenden Nostalgie keimte in mir auf. Und damit kamen auch die Erinnerungen: Die Entwicklung einer Schülerzeitung, erste unschuldige und zugleich unsinnige Schwärmereien, der quadratische Aufbau der Schule – perfekt für Rollstuhlrennen in den Pausen. Zugleich wuchs in mir die arrogante Hoffnung, früheren Lehrern zu zeigen, was ich doch alles seit dem Schulabschluss erreicht hatte.

Ein Schulkamerad, mit dem ich noch seit fast zwei Jahrzehnten im Kontakt bin, wollte ebenfalls mit. Einige Tage davor sagt er mir aufgrund anderer Verpflichtungen ab. Für mich aber überhaupt kein Grund, meine Pläne zu ändern.

Selbst meinen Partner habe ich zugeschwafelt, mit mir auf diese Jubiläumsfeier zu gehen, obwohl er eigentlich für das Wochenende etwas anderes vorhatte. Und so kam es, dass wir an besagtem Termin zur Schule fuhren. Der Weg war mir seit fast zwei Jahrzehnten noch fast vollständig bekannt, ich hätte meinen Partner fast blind führen können. Und in mir war nach wie vor diese Nostalgie, die mich antrieb.

Konfrontation mit der Vergangenheit

Doch am Eingang der Schule kippte die Stimmung dann auf einmal urplötzlich. Warum war ich überhaupt an diesem Ort? Was suchte ich dort? Und dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Ich wusste überhaupt nicht, was ich dort wollte. Es gab eigentlich nichts mehr für mich an diesem Ort.

Seit meinem Abgang von der Schule sind etwa 17 Jahre vergangen. Das sind fast zwei Schülergenerationen. Ich habe sogar vorab auf der Webseite der Schule noch nachgesehen, ob ich ein paar Lehrer wiedererkenne. Fehlanzeige. Mit etwas Mühe und Fantasie erkannte ich höchstens drei Gesichter, mit denen ich aber im Unterricht nichts zu tun hatte.

Ohnehin war die Einladung mehr an derzeitige Schüler gerichtet. Von ehemaligen Schülern und ehemaligem Personal war keine Spur – weder auf der Einladung noch auf dem Schulhof. Und wenn ich es mir an Ort und Stelle so überlegte, hatte ich plötzlich auch überhaupt kein Interesse, mich mit Ehemaligen auszutauschen.

Neben der positiven Nostalgie schlug auf einmal gleichzeitig der negative Gegenpart wie eine Bombe in mir ein. Nicht alles war während der Schulzeit super. Mobbing, Unfälle, Diskriminierung, Unterstellungen gehörten ebenso zum Alltag.

Natürlich hätte ich trotz allem an dem Fest teilnehmen können. Doch wollte ich mich wirklich mehr als einmal erklären, wieso ich dort war und was mich mit der Schule verband? Wollte ich wirklich wieder in bittersüßen Erinnerungen und angestautem Frust schwelgen? Vielleicht über mehrere Stunden hinweg?... Schließlich sind wir also auf meinen Wunsch hin vorzeitig abgereist.

Manchmal ist es Zeit, loszulassen

Tage später nach diesem Ereignis stellte ich für mich fest, dass es manchmal besser ist, manche Dinge aus der Vergangenheit loszulassen. Sie einfach als das behalten, was sie sind: nicht mehr als Erinnerungen vergangener Tage. Ein kurzes Schwelgen als Päuschen aus der Gegenwart, um dann wieder gestärkt in dieser fortzufahren, nicht um in der Vergangenheit zu bleiben.

Dabei sind mir weitere Parallelen aus der Vergangenheit aufgefallen: Immer, wenn ich mich aus Prinzip an Sachen und Zuständen festhielt, hat mich erst die Lösung von diesen Sachen oder Zuständen weitergebracht. Seien es Assistenten, mit denen die Chemie nicht mehr stimmt, der Umstand, mit der Familie unter einem Dach leben zu müssen, oder aber auch eine alltagsbelastende Therapie, die sowieso nur ästhetische Zwecke hatte.

Bei all diesen Entscheidungen war das Loslassen der schwierigste Schritt. Aber es war der notwendige. Es war der Schritt in Richtung mehr Selbstbestimmung, in Richtung eines Selbst, auf das ich auch viele Jahre später stolz zurückblicken kann – um im Anschluss wieder nach vorne zu blicken.

Mein Fazit der Geschichte

Die spinale Muskelatrophie bringt einige zusätzliche Herausforderungen in unser Leben. Besonders als Jugendliche müssen wir da erstmal unseren Weg finden. Doch am Ende machen uns Rückschläge zu dem Menschen, der wir sind: Ein einzigartiges Individuum mit all seinen wundervollen Ecken und Kanten. Das kann ich heute so akzeptieren, ohne völlig in positiver Nostalgie zu versinken oder mich von negativen Erinnerungen runter ziehen zu lassen. Die Vergangenheit gehört zu mir, aber die Zukunft liegt vor mir und die Gegenwart gilt es zu leben! ☺️

Ein altes Foto von drei Kindern, die vor einem Zaun an einer Schule stehen wird von einer Hand gehalten. Im Hintergrund sieht man das Gebäude des Fotos in seinem aktuellen, heruntergekommenen Zustand.
Ein altes Foto von drei Kindern, die vor einem Zaun an einer Schule stehen wird von einer Hand gehalten. Im Hintergrund sieht man das Gebäude des Fotos in seinem aktuellen, heruntergekommenen Zustand.

Die Reise zur alten Schule weckt einige Erinnerungen – schöne wie auch unschöne.

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SMA TYP II

Hinweis: Erkennbare Markennamen sind willkürlich gewählt und dienen ausdrücklich nicht der Produktplatzierung. Biogen nimmt keinerlei Einfluss auf Umsatzgeschäfte der auf SMAlltalk sporadisch erkennbaren Markenhersteller und es bestehen diesbezüglich keinerlei Erwartungen. 

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