Jahrgang: 1990 •
SMA TYP II

Das Schreiben und ich – Von den ersten, mühevollen Kritzeleien hin zur modernen Schreibtechnik

Meine erste kindliche Begeisterung für auf Blättern gekritzelte Striche, die ganze Geschichten zu formen vermögen, sah sich früh den Herausforderungen meiner SMA-bedingten Einschränkungen konfrontiert. Doch das hat mich nicht davon abgehalten, mich mit meinen Möglichkeiten der schriftlichen Kommunikation auseinanderzusetzen. Welchen Möglichkeiten ich auf meinem Weg begegnet bin, davon berichte ich hier!

Robertos Hände beim Bedienen seiner Maus.
Robertos Hände beim Bedienen seiner Maus.

So fing alles an…

Schon als kleiner Stöpsel las ich die Schilder von Einkaufsläden und Straßenschildern mit Begeisterung. Als man mich beim Spaziergang durch die Stadt schob, und auch in der Grundschule verfolgte ich voller Eifer, wie meine Klassenkameraden lernten, jeden Buchstaben zu schreiben und aus diesen dann schließlich Wörter und später Sätze bildeten. Selbst schreiben konnte ich dabei durch meine Spinale Muskelatrophie nicht.

Erste mühevolle Schreibversuche

Das war in diesem Alter auch gar nicht schlimm. Als Kind hat man genug Dinge und Sinneseindrücke, mit denen man sich beschäftigen kann. Da stört es noch nicht, auf diesem Wege nicht kommunizieren zu können. Meine größte Errungenschaft in der handwerklichen Schreibkunst bestand in einem kleinen Post-It, auf dem ich in mühevoller Kleinstarbeit als Neunjähriger einem angeheirateten Großvater in zwei Sätzen zum Geburtstag gratulierte. Zu jener Zeit konnte ich meine Finger im Bett noch so weit bewegen, dass ich mit kleinen Bewegungen Striche auf kleinen Zetteln vollführen konnte. Schreiben konnte man es nicht wirklich nennen. Es war eher Zeichnen. Eine kurze Phase machte es mir sogar Spaß dies zu tun, allerdings war diese Tätigkeit mit großer körperlicher Anstrengung verbunden und irgendwann waren meine Ansprüche in Relation zu meinen Ergebnissen zu hoch, sodass diese Phase des stümperhaften Kalligraphierens doch recht schnell um war.

Mein erstes Schreibprogramm

Störte mich aber nicht weiter. Denn zur selben Zeit führte man mich an den Computer heran. Alles war ein bisschen unhandlich. Mit sogenannten „Trackballmäusen“, die man über eine Kugel auf der Oberseite bewegt, war es mit meinen teilweise schon gelähmten Händen möglich, einen Computer zu bedienen – doch nicht nur das. Ich erhielt auch noch Zugriff auf ein Schreibprogramm, eine sogenannte virtuelle Tastatur. Hierbei handelt es sich um ein Abbild einer Tastatur, das auf dem Bildschirm angezeigt wird. Klickt man nun auf eine Taste mit der Maus, wird dieser Klick als Tippen auf der Tastatur gewertet und etwa ein Buchstabe geschrieben. Für lange Zeit konnte ich mit dieser Methode schreiben, doch auch hier war es mit einem größeren körperlichen Aufwand verbunden. Die Maus war unhandlich und man musste von Buchstabe zu Buchstabe wandern und klicken. Um Texte zu schreiben, war viel Zeit notwendig. Entsprechend nutzte ich das Schreibprogramm nur bei Notwendigkeit, etwa bei Hausaufgaben oder um kurze Briefe anzufertigen. Zwischenzeitlich lernte ich weitere Bedien- und Schreibmöglichkeiten kennen, doch viele dieser experimentellen Modelle von konkurrierenden Rehaunternehmen taugten für mich leider nichts.

Weiterentwickelte Trackballmäuse und virtuelle Tastaturen

Die Zeit nahm ihren Lauf, meine Muskelkraft wurde schleichend immer geringer, aber gleichzeitig entwickelten sich Trackballmäuse und virtuelle Tastaturen immer weiter. Die Mäuse wurden immer schlanker im Design, was es meinen Händen mit entsprechender Lagerung ermöglichte, diese zu bedienen. Zudem erhielten die Bildschirmtastaturen immer mehr Funktionen, wie etwa die Textvorhersage von Wörtern oder die Möglichkeit – anstelle eines aktiven Klicks – eine Taste nun zu betätigen, indem man eine bestimmte Anzahl an Sekunden oder Bruchteilen dieser mit dem Mauszeiger auf der Taste verweilt. Es erforderte einige Zeit an Einarbeitung, Training und stetiger Anpassung, doch mir wurde eine ganz neue Dimension eröffnet – und dieser Moment kam mir mehr als gelegen.

Neue Möglichkeiten der gesellschaftlichen Teilnahme

Behinderungsbedingt, aber insbesondere durch meine introvertierte Persönlichkeit zog ich mich als Erwachsener aus dem gesellschaftlichen Leben zu einem großen Teil zurück, weil dieses für mich mit großem Aufwand verbunden war – gerade, wenn es darum ging, mich durchzusetzen.

Brüllen und wilde Gestikulation gab mein Körper nicht her und lange Reden waren noch nie meine Stärke. Aus diesem Grund fand ich nun im Schreiben einen Quell, mich auszudrücken.

Sicherlich wird da auch eine Spur Eskapismus mit hineinspielen, aber von da an gehörte das Schreiben für mich mehr und mehr zum Alltag. In E-Mails stellte ich meine Standpunkte so klar, wie ich sie in meinem Kopf geformt hatte, ohne auf meine körperliche Kraft besonders achten zu müssen. Kreativ tobte ich mich ebenfalls aus, indem ich anfing, Geschichten und andere Texte zu schreiben. Und auch der Kontakt zur Gesellschaft verlagerte sich in Foren und auf soziale Medien, wo ich mich recht mühelos ausdrücken konnte, ohne auf meine Behinderung meine Aussprache mit Kieferverformung oder meine Tagesform achten zu müssen.

Die moderne Technik

Der Mensch strebt allerdings immer nach mehr. Ich wollte mehr, ich wollte schneller schreiben. Ich wagte einige Experimente mit vergleichsweise teuren Sprachprogrammen, doch die Einrichtung auf meine Sprache und der Mangel an Kompatibilität führte dazu, dass ich dieses Projekt nur bedingt weiterverfolgte. Ich wollte etwas Einfaches, etwas Schnelles, nicht zu weit von dem entfernt, was ich ohnehin schon die ganze Zeit tat. Erst durch Zufall lernte ich durch eine Bekanntschaft, ebenfalls mit Spinaler Muskelatrophie, von einem vielfach kompatiblen Schreibprogramm, das nochmal weniger Bewegung als normale Bildschirmtastaturen erfordert, gleichzeitig aber flexibel einstellbar auf die eigenen Bedürfnisse ist. Man wandert mit einem Fadenkreuz über eine Landschaft aus Feldern, die für Tastendrucke stehen. Schreitet man mit dem Fadenkreuz über eines dieser Felder, wird der jeweils darauf abgebildete Buchstabe geschrieben – entweder in eine eigene Textmaske oder aber direkt in das Programm nach Wahl – und ein neues Set aus Feldern taucht am Horizont auf. Das Großartige dabei ist: Das Programm merkt sich häufige Zeichen- und Wortabfolgen, sodass nach einer Trainingsphase das Schreiben viel besser „vom Finger geht“, denn mehr bewege ich hierbei nicht. Toll ist ebenso, dass man mit nur einem Klick direkt in eines von zahlreichen Sprachmodellen wechseln kann, sodass man nicht dieselbe Textvorhersage für mehrere Sprachen nutzen muss. Mit dieser Errungenschaft ist mein Schreibtempo seitdem nochmal immens angestiegen, sodass ich heute sogar ohne große Zeitverzögerung in Chats interagieren kann.

Was die Technik heutzutage ermöglicht, hätte ich mir vor Jahren nicht vorstellen können, doch es bringt mir einen wesentlichen Vorteil:

Ich habe ein großes Stück Selbstbestimmtheit mit der Möglichkeit so geschwind schreiben zu können wie ein Mensch ohne mein Behinderungsbild.

Ein schöner Schritt von vielen auf dem Weg zur Inklusion, wie ich finde!

Jahrgang: 1990 •
SMA TYP II

Hinweis: Erkennbare Markennamen sind willkürlich gewählt und dienen ausdrücklich nicht der Produktplatzierung. Biogen nimmt keinerlei Einfluss auf Umsatzgeschäfte der auf SMAlltalk sporadisch erkennbaren Markenhersteller und es bestehen diesbezüglich keinerlei Erwartungen. 

Biogen-173910

Abonniere unseren Newsletter!

Dein Abonnement konnte nicht gespeichert werden. Bitte versuche es erneut.
<b>Vielen Dank für deine Anmeldung! Um die Anmeldung zum SMAlltalk Newsletter abzuschließen, müssen wir deine E-Mail-Adresse bestätigen. Klicke dafür bitte auf den Link in der E-Mail, die wir dir gerade geschickt haben.

* Pflichtfeld

 

Newsletter
Newsletter

Andere Artikel zum Thema Hilfsmittel & Hacks